Offener Brief an Oberbürgermeisterin Weber zum Augsburger Friedensfestprogramm

Erstellt am:

Offener Brief an Eva Weber, Stadt Augsburg, Oberbürgermeisterin

Augsburg, 15.7.2020

Betreff: Friedensfest 2020 „Rituale“, Candomblé Ritual zur Eröffnungsfeier am 30.6.20

Sehr geehrte Frau Weber,

ich schreibe Ihnen aufgrund meiner Eindrücke bei der Eröffnung des Friedensfestprogramms im Annahof. Anbei finden Sie einen Text, der mein Erleben, meine Gedanken und Gefühle zu dem dort zelebrierten Ritual der Candomblé-Religion schildert. Eine Rückfrage bei anderen Freikirchen bzw. deren Delegierten in der Augsburger Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) ergab, dass ich nicht der einzige bin, der diesen Auftakt kritisch sieht. Die freikirchlichen ACK-Delegierten, darunter auch mein Stellvertreter am Runden Tisch der Religionen, Klaus Engelmohr, unterstützen das Anliegen. Sie finden ihre Namen am Ende des Briefes.

Wir sehen im Augsburger Hohen Friedensfest ein wertvolles und unverzichtbares historisches Erbe. Wohl keine andere Stadt feiert seit 1650 den Frieden. Zuerst als evangelisch-lutherisches Dankfest, dass nach dreißig Jahren Krieg wieder in Frieden und in eigenen Kirchen evangelischer Gottesdienst gefeiert werden durfte. Dann als ökumenisches Fest. Inzwischen als multiethnisches Ereignis der ganzen vielfältig gewordenen Stadtgesellschaft, das aber doch von seinen Wurzeln her lebt.

Beim Durchblättern des Programmheftes wachsen jedoch unsere Fragezeichen: Ein Gastbeitrag schildert das Ritual der „Kogi“ in der Sierra Nevada de Santa Marta: „von einer rituellen Priesterschaft beherrscht“ werden die Priesterkandidaten im Alter von drei Jahren von ihren Familien getrennt und achtzehn Jahre in Dunkelheit gehalten, „um an die neun Monate im Mutterleib zu erinnern. In all dieser Zeit existiert die Welt nur als Abstraktion, wahrend sie in die Werte ihrer Gesellschaft eingewiesen werden. Eine barocke Religiositat, die überwältigend ist.“ Programmheft 2020, S. 14. Der Autor distanziert sich NICHT von solch menschenverachtenden Praktiken. Dreijährige Kinder werden ihrer Kindheit, Familie und Jugend beraubt. Jede Entwicklung eigener Identität und Selbstbestimmung wird verhindert. Ein Beispiel, dass manche Kulte und ihre Rituale eben keine harmlose Folklore sind. Als gläubige Menschen sehen wir unsere Aufgabe nicht darin, Menschen in Finsternis zu halten, sondern Zeugen des Lichts zu sein.

Grafisch wird das Programmheft beherrscht von eigens für das Friedensfest gestalteten Orakel- oder Tarotkarten „weltlich, weiblich, humorvoll“. Dort heißt es: „Seit Jahrhunderten wenden sich Menschen mit ihren innersten Fragen an Orakel- oder Tarotkarten um Antworten zu bekommen“. S. 34. Die meisten der ganzseitigen Illustrationen im Programmheft stellen solche Orakelkarten dar: „Die Magierin“, S. 35 ; „Liebe Worte, S. 36; „Die Freiheit“, S. 47; „Die Schöpferin“, S.83; „Dankbarkeit“, S. 94; „Wünsche“, S. 103; „Landart“, S. 108; „Der Blutsee“, S. 109. Sie künden von einer esoterischen Spiritualität, die Feuerbachs These vom selbstgemachten Gott (hier eher Göttin) eindrucksvoll bestätigt.

Ähnlich sehen wir die Verehrung der sagenumwobenen Augsburger „Göttin Cisa - Sie ist bei uns“, die in einer Kunstinstallation wiederbelebt werden soll. S. 76 . Oder dass in einem „Workshop für Magie und Rituale im Alltag“ ein „Zauberlehrling gesucht“ wird. S. 87.

Wir beobachten und beklagen eine Paganisierung des Friedensfestprogramms. Ritualkritik gehört für uns zum Kern des Christentums, ja wohl zum Kern jeder monotheistischen Religion. Die Propheten Israels protestierten gegen menschenverachtende Rituale und forderten stattdessen Gerechtigkeit für die Armen und an den Rand Gedrängten als „wahres Fasten“. Jesus reiht sich ein in diese prophetische Tradition. Sein Leben und sein Tod am Kreuz setzen nach Ansicht des Neuen Testaments und der frühen Kirche allen bisherigen Opferritualen ein Ende. Auch die prophetische Verkündigung des Islam ist dezidiert ritualkritisch. Dieser genuin aufklärerische religiöse Impetus der abrahamitischen Religionen richtet sich gegen die Anbetung menschengemachter Götter und die Rituale ihrer Verehrung.

Das Augsburger Hohe Friedensfest und seine Geschichte sind zu wertvoll, um sie in eine beliebige esoterische Religiosität münden zu lassen. Das Friedensfest hat sich in den letzten Jahrzehnten geöffnet und damit reagiert auf die multikulturelle Entwicklung der Stadtgesellschaft. Diese Öffnung soll nicht zurückgedreht werden. Es gilt vielmehr sie zu gestalten und orientiert am Gründungsereignis von 1650 und der daraus entstandenen Tradition zu entwickeln.

Krisenbedingt fällt die große Friedenstafel auf dem Rathausplatz dieses Jahr leider aus. Wir hoffen, dass wir dort nächstes Jahr wieder miteinander den alles menschliche Denken übersteigenden Frieden Gottes feiern können, indem wir inmitten unserer vielfältigen Stadtgesellschaft Essen und Trinken teilen. In Toleranz und gegenseitigem Respekt möchten wir uns gegenseitig ein Zeugnis sein von der je eigenen Erfahrung von Wahrheit und Licht. Wir sehen in der Friedenstafel ein Vorzeichen des kommenden Gottesreiches, wo die Völker kommen von Ost und West, Süd und Nord und miteinander zu Tisch sitzen. Mt 13,29.

Seien Sie herzlich gegrüßt. Gott gebe Ihnen Kraft für Ihre vielfältigen Aufgaben!

Wolfgang Krauß, Mennonitengemeinde, ACK, Runder Tisch der Religionen
Pastor

Mitunterzeichner:

  • Dr. Bodo Danzfuß, Mennonitengemeinde, ACK
  • Pastor Michael Bitzer, Freie evangelische Gemeinde, Augsburg-Mitte, ACK
  • Pastor Klaus Engelmohr, Projekt X (Freie evangelische Gemeinde), ACK, Runder Tisch der Religionen
  • Christian Hafner, Evangelisch freikirchliche Gemeinde / Baptisten, ACK
  • Pastor Eric Hensel, Adventgemeinde, ACK
  • Urban Beck, Freie Christengemeinde Arche, ACK
  • Pastor Dr. Wolfgang Bay, Evangelisch-methodistische Kirche, ACK

(Es handelt sich hier um eine Abschrift des „Offener Brief“ an Oberbürgermeisterin der Stadt Augsburg, Eva Weber)

Als Alage zum Offener Brief, ein Bericht über den Eröffnungsabend:
Nonkonforme Betrachtungen zum Friedensfest 2020, Thema „Rituale“, Eröffnung am 30.6.20, Annahof

Zur Eröffnung des Friedensfestprogramms am 30.6.20 nehme ich Platz auf einem der in weitem Abstand vor der Sommerbühne im Annahof aufgestellten Stühle. Moment mal: Sitze ich hier zu „Ehren des Orixá Obulaie, des Gottes der Krankheit und der Heilung“? So steht es in der Überschrift des auf meinem Stuhl mit Tesafilm fixierten Blattes. In diesem Selbstzeugnis des „Tempels Ile Obá Sileké (Haus des Königs der Wohlstand bringt), Berlin“ steht auch: „In der afrobrasilianischen Religion Candomblé gibt es – wie in den anderen monotheistischen Religionen – den Allmächtigen Schöpfer, hier mit Namen Olorum." Später ist von einem „Götter Pantheon“ die Rede, von den „Orixas … halb Mensch, halb Gott“. Zu den „anderen monotheistischen Religionen“ gehören wohl wir Christen verschiedener Konfession, Muslime, Juden und andere vom Augsburger Runden Tisch der Religionen, die wir zur Eröffnung des Friedensfestprogramms gekommen sind.

Hab ich Monotheismus bisher falsch verstanden? Es ist ja schon schwierig genug, Juden und Muslimen, (auch machen Christen) die Trinität als monotheistisches Konzept zu erklären. Ob das mit dem Pantheon des Candomblé gelingen wird?

Der farbenfrohe Auftritt des „afro-brasilianischen Tanztheaters befremdet mich. Ist das nun Kunst oder Religion oder beides? Bin ich Zuschauer oder Teil des Rituals. Wenigstens werde ich nicht rituell mit Popcorn beworfen, wie ich schon befürchtet hatte. Was ist die Botschaft der „exotisch“ anmutenden Darbietung zur Eröffnung „unseres“ Augsburger Friedensfestprogramms? Warum geht Oberbürgermeisterin Eva Weber in ihrem Grußwort nur am Rande auf Anlass und Geschichte des Friedensfestes ein? Warum geschieht dieses Ritual ausgerechnet in der „guten Stube“ der Augsburger Evangelisch-Lutherischen-Kirche?

Ich sitze mit mehr als Corona-Distanz auf meinem Stuhl und memoriere das erste Gebot des Dekalogs vom Sinai: „Ich bin der EWIGE dein Gott, der dich aus der Sklaverei in Ägypten befreit hat. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.“ Exodus 20, 2+3.

1683 wanderten die ersten Deutschen nach Nordamerika aus. Eine Gruppe von Mennoniten und Quäkern, dreizehn Familien, kamen von Krefeld nach Pennsylvania und gründeten bei Philadelphie Germantown. Sie wurden hierzulande diskriminiert und durften ihren Glauben nicht frei leben. Fünf Jahre nach ihrer Ankunft formulierten sie den ersten schriftlich erhaltenen Protest gegen die Sklaverei in Amerika. Es ist dies Teil meiner eigenen Geschichte als Glied einer ehemals verfolgten Kirche. 1528 wurden meine Brüder und Schwestern auch aus Augsburg vertrieben.

So sympathisiere ich mit den von Afrika nach Brasilien in die Sklaverei verschleppten Afrikanern und ihrer lange verfolgten und unterdrückten Religion. Das heißt aber nicht, dass ich deren Ritualen und theologischen Inhalten unkritisch gegenüberstehe. Ist es überhaupt angemessen, dieses Ritual unbeteiligten Zuschauern so darzubieten? Ist das authentisch, was uns hier vorgeführt wird? Ich hätte Probleme damit, das Teilen von Brot und Wein als Schauspiel auf einer Bühne und außerhalb eines Gottesdienstes vorzuführen.

Ich verstehe die Gesänge und Schreie nicht. Die ethnologische Einführung von Christiane Lembert- Dobler lässt mich höchstens erahnen, um was es geht. Wenn schon ein solches Ritual auf der Bühne im Annahof, sollte es dann nicht auch ein Gespräch geben mit dem Candomblé-Priester, wo ich ihn nach den Inhalten seiner Religion fragen und Zweifel anmelden kann?

Im Anschluss spreche ich mit einigen Christen und Muslimen, die meisten haben es als ethnologisch interessante Vorführung wahrgenommen, aber durchaus mit zwiespältigen Gefühlen.

Ich nehme an, dass viele Christen in den Freikirchen, die ich am Runden Tisch vertrete, die Angelegenheit noch etwas drastischer sehen würden, als ich das tue.

Sollten wir in Augsburg nicht ganz grundsätzlich nachdenken, was es bedeutet, Friedensfest zu feiern und wie wir das tun wollen?

Wolfgang Krauß, Delegierter der Freikirchen in der ACK am Runden Tisch der Religionen 9.7.20

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